Nachgefasst: #Faire Straßen – allen Ernstes Fehlanzeige?

11. Mai 2020
Im April 2020 hatten wir im Rahmen der Petition #FaireStraßen von Changing Cities in einem offenen Brief an Frau Dr. von Berg, Leiterin des Bezirksamts Altona, ein schnelles Handeln für pandemietaugliche Mobilität gefordert: Fußgängern und Radfahrern kurzfristig mehr Platz auf den Straßen geben, um den nötigen Corona-Abstand einzuhalten. In anderen Städten ist das längst geschehen.

Die notwendigen Schritte sind aber vom Bezirk nicht unternommen worden, inzwischen hat sich die Hamburgische Bürgerschaft mit den Stimmen von SPD, Grünen, CDU und AfD ganz klar gegen temporäre Radwege und weitere kurzfristige Corona-Schutzmaßnahmen im Straßenraum ausgesprochen.

Wir sind fassungslos über soviel Verantwortungslosigkeit in dieser Stadt und fassen bei Frau Dr. von Berg nach:

Sehr geehrte Frau Dr. von Berg,

am 23. April haben wir OTTENSER GESTALTEN uns an der Petition von Changing Cities beteiligt und Ihnen per Mail mitgeteilt, welche Straßen angesichts der Conona-Pandemie vorübergehend in faire Straßen umgewandelt werden sollten. Wir haben dazu von Ihnen keine Rückmeldung bekommen. Völlig entsetzt haben wir jedoch zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Grünen den Antrag der Linken in der Bürgerschaft zu genau diesem Thema abgelehnt haben. Das verschlägt uns die Sprache. Es ist, gelinde gesagt, ein Schlag ins Gesicht aller FußgängerInnen und Radfahrenden, die sich mit viel zu schmalen Wegen und Spuren zufrieden geben müssen, während Autos überproportional viel Platz zugestanden wird. Diese Ignoranz ist untragbar! Was ist eigentlich aus den Ambitionen bei Cities4People geworden? Offenbar nicht wirklich for People sondern die Fortsetzung von Autostadt.

Während man der AfD, die diesen Antrag auch abgelehnt hat, noch inhaltliche Gründe unterstellen kann, drängt sich bei den Grünen der Verdacht auf, dass er nur abgelehnt wurde, weil er von der „falschen“ Partei kommt. Sie wollen wirklich für Fahrradstadt stehen? Etliche von uns haben bei der Bürgerschaftswahl im Februar genau deswegen ihre Kreuze bei Ihrer Partei gemacht. Es sieht gerade mehr danach aus, dass wer wirklich Fahrradstadt will, die Linke wählen muss. Auch der Beitrag von Martin Bill brachte dazu nichts Ambitioniertes. Die Radwege, derer sich die Grünen gerade rühmen, sind nicht einmal für den Status quo ausreichend, wie man aktuell überall sehen kann. Es sind deutlich mehr Menschen mit dem Rad unterwegs, auch mit Lastenrädern und Fahrradanhängern. Dafür ist die Fahrradinfrastruktur jedoch überhaupt nicht ausgelegt, sprich sie ist nicht zukunftsfähig. Das Argument, man wolle keine Provisorien, sondern gute Radfahrstreifen, ist nicht ernst zu nehmen.

Wir blicken gerade sehr aufmerksam auf die Städte, die hier Vorreiter sind, Paris, Wien, Bogotá… – in Deutschland in erster Linie Berlin. Dort werden zügig und unkompliziert Pop-up-Radwege, Spielstraßen und verkehrsberuhigte Straßen eröffnet. Da werden wir neidisch! Prompt tauchen erste Überlegungen auf, sich seinen Wohnort auch nach der Attraktivität der Fuß- und Radwege sowie des ÖPNV auszusuchen. Denn das macht Städte lebenswert. Da ist es schlecht bestellt um Hamburg.

Zu kurz greift auch die Kritik einiger Ihrer Partei, wir OTTENSER GESTALTEN würden mit unserem Konzept nur forcieren, dass „vor unserer Haustür“ dann kein Durchgangsverkehr mehr ist. Dabei ist diese Kritik völlig hanebüchen. Denn im Viertel und darüberhinaus Altona Kerngebiet wurde in den letzten Jahren mit Wohnungsbau stark nachverdichtet. Hamburg wächst, aber der ÖPNV wächst nicht mit. Das hat Hamburg in den letzten Jahrzehnten versäumt. Wenn nun Bewohner nicht mehr damit einverstanden sind, dass Ausweichverkehr der großen Straßen sich durch verkehrsberuhigte, enge Straßen vorbei an Kitas, Schulen, Wohnhäusern etc. quält, dann ist das schlicht nicht hinnehmbar.

Das alles trägt dazu bei, dass die Straßen Ottensens mit Autoverkehr völlig überlastet sind. Die Gehwege sind zu schmal und dürfen dazu auch noch halbachsig beparkt werden. Es reicht! Haben Sie mal versucht, entlang der Ottenser Hauptstraße den notwendigen Abstand zu anderen einzuhalten? Das ist schlicht nicht möglich. Gipfel dessen ist die Strecke unterm Gerüst an der Haspa gegenüber dem Spritzenplatz. Es ist nicht hinnehmbar, dass auf beiden Seiten der Straße Autos parken dürfen, sich eine Spur hindurchquält, während hunderte FußgängerInnen und Radfahrende zusehen können, wo sie bleiben.

Wenn es schon vielleicht nicht opportun ist, Ottensen macht Platz wiederzubeleben, könnte es hilfreich sein, das Parken entlang der Ottenser Hauptstraße und Bahrenfelder Straße zu untersagen. Dann können Anwohner, Lieferanten, Firmen etc. überall hin, sie fahren Schritttempo, weil Radfahrende und FußgängerInnen vielfach auf die Straße ausweichen, um derzeit infektionsschützenden Abstand einzuhalten. Das würde sehr helfen! Überall wird seitens der Polizei streng auf die Einhaltung Coronaregeln geachtet – aber der Verkehrsraum ist davon ausgenommen! Untragbar!

In Erwartung einer Rückmeldung von Ihnen und Handlungsoptionen verbleiben wir mit artgerechten Grüßen

Bürgerinitiative OTTENSER GESTALTEN

Sollten Sie für irgendeinen Aspekt nicht zuständig sein oder andere Akteure einbinden wollen, so leiten Sie unser Anliegen nach fairen Straßen gern weiter.