Die Verkehrswende gelingt nicht, solange Hamburger Behörden Falschparken dulden

10. Januar 2023
Ottensen ist ein lebhaftes, diverses Viertel. Wer aufmerksam durch den Stadtteil geht, dem wird jedoch eine Sache auffallen, die fast alle Straßen gemein haben: Falschparker.

Kaum eine Kreuzung, Ampel oder Gehweg werden nicht rechtswidrig beparkt. Während Projekte wie freiRaum Ottensen die Straßen mehr Menschen zugänglich machen wollen, zeichnet sich besonders im Norden Ottensens ein ganz anderes Bild ab: überall wo man hinblickt stehen Autos, werden Fußgänger durch Falschparker gefährdet, wird der fließende Verkehr behindert.

Wir haben uns die Situation genauer betrachtet und möchten im Rahmen dieses Artikels über das rechtswidrige Gehwegparken sprechen und wie die verantwortlichen Behörden damit umgehen. Spoiler Alert: Einen besonderen Handlungswillen können wir nicht erkennen. Aber warum ist es so wichtig, im Rahmen der Verkehrswende über Parkraum zu reden und was stellt öffentlicher Raum eigentlich für die Gesellschaft dar? Fangen wir also von vorne an.

Wie ist der Status quo in Hamburg? Was machen andere Städte?

Der Hamburger Senat plant, den CO2-Ausstoß in den nächsten 7 Jahren um 70 % zu reduzieren. Quelle: ndr.de

Währenddessen überreicht uns der Navigationsgeräteherstellers TomTom auch dieses Jahr wieder die Goldmedaille: Hamburg ist Stau Deutschlandmeister. Ein Pendler, der täglich eine Stunde Arbeitsweg zurücklegt, steht im Schnitt 102 h im Stau – also mehr als 4 volle Tage im Jahr! Quelle: tomtom.com

Die Ambition des Senats und die Verkehrsdaten machen deutlich:

In Hamburg muss der Autoverkehr reduziert werden, damit die Klimaziele erreicht werden und Menschen, die z. B. durch körperliche Einschränkungen auf das Auto angewiesen sind, verzögerungsfrei an ihr Ziel kommen.

Die gute Nachricht ist, wir können auf Erfahrungen aus anderen Städten bauen. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass ein bedeutsamer Baustein der Verkehrswende die Aufteilung des Parkraums ist:

  • Barcelona baut ganze Straßenzüge um, verwandelt Fahrbahnen und Parkraum in öffentliche Plätze und sorgt dadurch dafür das Fahrradfahren und Zufußgehen attraktiver gestalten. Quelle: ajuntament.barcelona
  • Kopenhagen reduziert seit 15 Jahren den Parkraum jährlich um 3 % und konnte unter anderem damit trotz wachsender Einwohnerzahl den CO2-Ausstoß reduzieren. Quellen: ndr.de und energiewinde.orsted.de

Und auch unser Umweltbundesamt erkennt: „Städte können das Mobilitätsverhalten stark beeinflussen, indem sie die öffentlichen Parkmöglichkeiten verändern“. Quelle: umweltbundesamt.de

Falsches Parken und Halten verstoßen gegen das geltende Recht und führen zu einem gesellschaftlichen Schaden. Hierzu zählen beispielsweise Unfälle und die Inanspruchnahme des wertvollen öffentlichen Raums.

Umweltbundesamt

Weniger Parkplätze bedeuten mehr Platz für Menschen. Platz, der genutzt werden kann, um zu Fuß sicher von A nach B zu kommen. Platz, der eine barrierefreie Infrastruktur darstellt, auf die Menschen im Rollstuhl, aber z. B. auch Eltern mit Kinderwagen, angewiesen sind.

Aber auch Platz als Begegnungsraum: „Angesichts einer zunehmenden virtuellen und sozialen Segregation der Gesellschaft ist es besonders wichtig, Räume zu schaffen, in denen spontane soziale Begegnung möglich ist.“ Quelle: boell.de

Gehwege sind mehr als nur Infrastruktur für Menschen, die sich kein Auto leisten können. Sie sind essenzieller Bestandteil unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Und: auch ein Autofahrer muss sicher zu seinem Auto kommen.

Wir haben vor einigen Monaten angefangen, die Straßen im Norden Ottensen zu erheben, deren Gehwege rechtswidrig und großflächig beparkt werden. (Dass auch das erlaubte Gehwegparken häufig nicht die rechtlichen Grundlagen erfüllt, klammern wir für diesen Artikel aus).

Die untenstehende Karte hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dennoch ist erkennbar, dass ein Großteil der Gehwege rechtswidrig zum Parken genutzt werden.

Karte Ottensen Falschparken
Karte: openstreetmap.org

Obwohl der Landesbetrieb Verkehr (LBV) seit 2021 regelmäßige Parkraum-Kontrollen durchführt und die Beamten des Polizeikommissariat 21 (PK21) für die Einhaltung der StVO verantwortlich sind, konnten wir nicht feststellen, dass das rechtswidrige Gehwegparken geahndet wird. Beim Falschparken werden gerne mal beide Augen zugedrückt.

Wir haben beim PK21 und LBV nachgefragt: Die Polizei bespricht das Problem mit dem Bezirksamt. Es wird an einer rechtsicheren und verkehrssicheren Lösung gearbeitet. Wir sind auf die Lösung gespannt und gehen davon aus, dass diese auch die Hamburger Klimaziele berücksichtigt.

Der LBV verweist an die Polizei und bestätigt uns schriftlich, dass in der zwischen Zeit nicht kontrolliert wird. Diese Einstellung halten wir zwar für rechtswidrig Quelle: taz.de, aber warten wir auf die versprochene Lösung.

Wie sich die Polizei eine Lösung vorstellt, können wir bereits in der Daimlertwiete sehen (auf der Karte blau markiert). Dort wurde das Gehwegparken im November 2022 freigegeben. Wie das den Verkehrsfluss beeinflusst, ob es StVO konform ist, oder ob die Schüler der Max-Brauer-Schule auf ihrem Schulweg dabei behindert werden, wurde dabei offensichtlich nicht in Erwägung gezogen. Quelle: fragdenstaat.de

Planckstraße

Trotz fehlender Anordnung zum Gehwegparken wird durch Quer- bzw. Schrägparken besonders viel Platz den Fußgänger:innen weggenommen.

Planckstraße: Wer zahlt die Schäden am Gehweg? Die Falschparker oder die Steuerzahler?

Borselstraße

Die uneinheitliche Regelung verwirrt und führt dazu, dass in der ganzen Straße schräg auf dem Gehweg geparkt wird. Auch dort, wo es erlaubt ist, ist der Gehweg viel zu schmal.

Falschparken Borselstrasse
Borselstraße: Begegnungsverkehr braucht eine Gehwegbreite von mindestens 2,65 m. LBV und PK21 meinen 1,5m reichen. Kontrolliert wird auch das meistens nicht. Quelle: hamburg.de

Weitere Eindrücke

Falschparken Friedensallee
Friedensallee: Der Parkautomat steht zwar auf dem Gehweg, parken darf man hier aber nicht.
Falschparken Hohenzollernring
Hohenzollernring: Die E-Ladesäule lädt zum senkrechten Parken auf dem Gehweg ein, erlaubt ist das nicht.
Falschparken Barnerstrasse
Barnerstraße: Nach rechts (Westen) darf auf dem Gehweg geparkt werden. Nach links bis zum Lessingtunnel nicht.

Wie geht es nun weiter? Was fordern wir?

Wir können die StVO weiter verschärfen und uns noch so ambitionierte Klimaziele setzen. Das bringt jedoch nichts, wenn die daraus resultierenden Regeln ignoriert werden. Die Hamburger Behörden müssen ihrer Pflicht nachkommen und öffentlichen Raum schützen!

Solange Handeln keine Konsequenzen hat, solange gesellschaftliche Schädigung nicht geahndet wird, werden sich die Menschen nicht verändern. Deswegen fordern wir: Demokratische Institution müssen ihren Pflichten nachkommen! Autos haben auf Gehwegen nichts verloren! Gehwegparken kann und darf in den engen Straßen Ottensens nicht angeordnet werden. Rechtswidriges Parken muss geahndet werden Quelle: ottensergestalten.de.

Und umso brennender finden wir die Fragen:

Die StVO verpflichtet die Straßenverkehrsbehörden mindestens alle zwei Jahre im Rahmen einer Verkehrsschau die Verkehrseinrichtungen zu überprüfen. Quelle: verwaltungsvorschriften-im-internet.de

  • Warum wurden diese Missstände bei diesen Kontrollen nicht erkannt? Warum müssen wir darauf hinweisen?
  • Wie wurden die Standorte für Parkautomaten und E-Ladesäulen bestimmt?
  • Nach welchen Kriterien wird in Ottensen entschieden, ob der LBV das Falschparken ahndet oder duldet?
  • Wie wird das Problem des ausufernden Falschparkens in Ottensen angegangen?
  • Wie garantiert die Hamburger Verkehrsbehörde und das Bezirksamt Altona, dass die Gehwege in Ottensen sicher und barrierefrei sind?