Unsere Stellungnahme zum Pilotprojekt „Ottensen macht Platz – Flanierquartier auf Zeit“

22. Juni 2019
In einem offenen Brief an die Verantwortlichen aus Politik, Planung und Verwaltung stellen wir differenziert unsere Position zum geplanten Projekt dar. Die Adressaten haben das Schreiben per E-Mail erhalten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir begrüßen das Projekt „Ottensen macht Platz“ in der Ausdehnung, wie es am 28. März 2019 von der Bezirksversammlung Altona beschlossen wurde und werden es nach besten Kräften unterstützen, damit dieses Vorzeige-Projekt zu einem vollen Erfolg wird. Deshalb wenden wir uns heute mit diesem offenen Brief an Sie.

Denn noch weist dieses sehr fortschrittliche Projekt Defizite in wichtigen Bereichen auf, die die Akzeptanz und die Unterstützung der AnwohnerInnen gefährden könnten. Wir möchten Ihnen unsere Bedenken mitteilen, damit vermeidbare Fehler tatsächlich vermieden werden.

Grundsätzlich möchten wir anmerken: Anders als oft angenommen, sehen wir nicht die Geschäftsleute als mögliche GegnerInnen dieses Projekts. Im Gegenteil, in unseren zahlreichen Gesprächen haben wir feststellen können, dass sie das Vorhaben meist begrüßen und sehr gerne unterstützen möchten. Eher sind die Widerstände bei den AnwohnerInnen zu finden. Zwar bringt die Verkehrsberuhigung vielen von ihnen große Vorteile – aber eben auch Nachteile, die unbedingt ernst genommen werden müssen.

Eines der zentralen Probleme werden die Parkplätze der BewohnerInnen und BesucherInnen des Stadtteils sein. Denn mit dem Projekt werden viele der bisher schon knappen Parkmöglichkeiten innerhalb der Zone wegfallen. Das wird sich unmittelbar auf die umliegenden Straßen auswirken. Sie werden zusätzlich massiv belastet werden. Wenn hier die Politik keine Lösung anbietet, wird das Projekt sehr wenig Akzeptanz und Unterstützung bekommen. – Eine Lösung wäre: Grundsätzlich sollten Parkplätze in Ottensen kostenpflichtig werden. Zeitgleich sollte großflächig Bewohnerparken eingeführt werden und BesucherInnen des Stadtteils sollten über ein verbessertes Parkleitsystem in die Parkhäuser geleitet werden und keine Gelegenheit haben, auch in weiter entfernten Straßen Ausweichparkplätze nutzen zu können.

Diese Maßnahmen müssen von engmaschigen Kontrollen begleitet werden. Immer wieder gibt es Kritik, dass bereits bei bestehenden Zonen mit eingeschränktem Halte- oder absolutem Parkverbot, wie in der Bahrenfelder Straße oder auf dem Spritzenplatz die bestehenden Regeln nicht eingehalten werden.

Ein weiteres Problem sind die schlechten oder fehlenden Radwege: Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist, begibt sich auf den Straßen in teilweise lebensgefährliche Situationen. Zudem macht vielerorts Kopfsteinpflaster das Radfahren unbequem und bei regennasser Fahrbahn sogar gefährlich. Weichen die RadfahrerInnen auf die Fußwege aus, werden sie wiederum für die FußgängerInnen zum Problem. Auch hier kommt es regelmäßig zu ärgerlichen Zwischenfällen, die auf eine überforderte Infrastruktur hinweisen, die Fußgängern und Radfahrern im Verhältnis zu Autofahrern zu wenig Raum zugesteht.

Um hier wieder ein gutes Miteinander im Straßenverkehr aufzubauen, muss dringend das Radfahren erleichtert werden. Aggressive RadfahrerInnen müssen zudem ebenso regelmäßig sanktioniert werden wie FalschparkerInnen oder RaserInnen. Um verloren gegangenes Vertrauen in Politik und Polizei wieder aufzubauen oder zu erlangen, benötigen die BürgerInnen konkrete AnsprechpartnerInnen in Politik und Verwaltung. Wir stellen fest, dass die Kommunikation zwischen Bezirk und BürgerInnen deutlich verbessert werden muss.

Zudem raten wir dringend, dass die Verantwortlichen ihre Wortwahl den Realitäten anpassen. Ein „autofreies Ottensen“, als das das Projekt ursprünglich angekündigt wurde, bleibt Wunschdenken. Ein solcher Begriff weckt falsche Hoffnungen und unerfüllbare Erwartungen einerseits, andererseits schürt er auch Misstrauen und Ängste bei den GegnerInnen. Das Projekt „Ottensen macht Platz“ umfasst tatsächlich nur zwei autofreie Straßen, die zu Fußgängerzonen werden. Ottensen wird aber auch in nächster Zukunft nicht „autofrei“ sein.

Und gerade weil „Ottensen macht Platz“ nur ein Anfang sein kann, sollten unbedingt auch die großen Problemfelder des Stadtteils offen benannt werden, für die dieses Projekt keine Lösung anbietet. Dazu gehört unbedingt der Durchgangsverkehr, unter dem die BewohnerInnen täglich massiv zu leiden haben. Straßen, wie die Holländische Reihe, Hohenesch oder Kepler- und Eulenstraße stehen exemplarisch für einen Autoverkehr, der sich entweder durch Ottensen wälzt oder in diesem sehr verwinkelten Stadtteil auf Parkplatzsuche ist.

Wir erwarten, dass die Hamburger Fachbehörden die Untersuchungen zur Lösung der Verkehrsprobleme in vollem Umfang durchführen. Den Auftrag dazu hat die Bezirksversammlung Altona am 28.03.2019 erteilt.

Auch hier muss die Politik dringend Lösungen ersinnen. Es wäre fatal, Verkehrsprobleme wie diese zu ignorieren und sich auf der Einrichtung einer Fußgängerzone mit „Ottensen macht Platz“ zu beschränken. Die weitere Einbindung der BewohnerInnen in die notwendige Verkehrswende in Hamburg und Ottensen wäre damit sicherlich nicht zu gewährleisten.

Insgesamt wird das Projekt ein Meilenstein hin zu einer neuen Form von Mobilität sein – nicht mehr, nicht weniger. Es wird VerliererInnen und GewinnerInnen geben, NörglerInnen und UnterstützerInnen. Und es wird ein langwieriges, sicherlich auch teilweise kraftraubendes Learning by Doing sein, in dem es neben Fortschritt auch Rückschritte geben kann, in dem Ideen verworfen, diskutiert und neue Ideen mit alten streiten werden. – Aber es ist ein Prozess, auf den wir stolz sein werden, wenn wir in zehn oder zwanzig Jahren zurückschauen werden. Stolz, dass wir als BürgerInnen daran mitgewirkt haben und dass wir vorausschauende PolitikerInnen hatten, mit denen wir zusammen ein modernes Ottensen und Hamburg gestaltet haben.

Deshalb unser Appell an die PolitikerInnen: Handeln Sie! Machen Sie das Projekt zu einem großen und dauerhaften Erfolg – ein Flanierquartier, aber nicht auf Zeit, sondern auf Dauer. Machen Sie Ottensen für alle lebenswerter, gesünder und vor allem auch klimafreundlich!